Rezension

[Rezension] Der geheime Brief

Der geheime Brief

Autor(in): Maria Ernestam
Verlag: btb
Seitenzahl:  380
Preis:  8,99 Euro
Cover / Bildrechte: Randomhouse / btb

Gestaltung:

Das Cover zeigt einen Zaun mit vielen Sträuchern, grüner Wiese und Bäumen in der Ferne. Mir persönlich gefällt es sehr gut, weil ich mir vorstelle, dass es die Gartentür zu dem Haus in Marstrand ist, von dem im Buch erzählt wird. Leider ist es jedoch sehr unscheinbar und könnte im Buchhandel leicht übersehen werden.
Story:
Das Buch beginnt mit einem kleinen Absatz über Ereignisse auf dem britischen Schlachtschiff Queen Mary. Danach erfährt man in einem Prolog ein paar Gedanken in Ich-Perspektive von einer Person, die man nicht kennt. Dieser Prolog ist jedoch sehr kurz. Anschließend springt die Geschichte ins Jahr 2005 zu der Protagonistin Inga und man erfährt über den Tod ihres Mannes. Dieser Teil ist in der 3. Person geschrieben. Nachdem die Geschichte um Martens Tod, dem Mann von Inga, erzählt ist, geht die Geschichte 2007 weiter, als Inga nach Marstrand geht, um Abstand zu gewinnen.  Ein paar Seiten später geht die Geschichte jedoch im Jahr 1959 weiter und wechselt schließlich jedes zweite Kapitel zwischen 2007 und 1959 hin und her, wobei die Kapitel, die 2007 spielen in der 3. Person, die 1959 in Ich-Form geschrieben sind. Dazwischen finden sich immer wieder kurze Abschnitte bzw. Augenzeugenberichte von der Schlacht am Skagerrak.
Eigentlich liebe ich ja Bücher, die zwischen den Zeiten wechseln und sich am Schluss alles zu einem großen Ganzen zusammenfügt, doch ich muss sagen, dass ich bei diesem Buch einige Probleme damit hatte, da man die ersten Kapitel, die 1959 in Ich-Form geschrieben wurden, gar nicht weiß, wer dort seine Geschichte erzählt. Außerdem erinnert sich die Person, von der 1959 gesprochen wird, immer wieder und springt so zusätzlich noch ins Jahr 1916, so dass man als Leser wirklich konzentriert beim Buch bleiben muss, um nicht den Überblick zu verlieren. Auch die Augenzeugenberichte konnte ich überhaupt nicht zuordnen, was bis zum Ende des Buches auch so blieb.
Die Geschichte an sich finde ich sehr schön. Inga findet diesen Brief und geht der Spur nach, um mehr über ihre Großmutter Rakel, deren Leben und das ihrer Freundin Lea, die den Brief geschrieben hatte, zu erfahren. Dabei reist sie sowohl in die Vergangenheit ihrer eigenen Familie, als auch in die anderer und lernt viele interessante Menschen kennen. So scheint sich auch den Tod ihres Mannes zu verarbeiten. Sie erkennt, dass es besser ist geliebt und verloren, als überhaupt nicht geliebt zu haben.
Charaktere: 

In dem Buch gibt es zwei Protagonisten. 
Zum einen wird die Geschichte von Inga, der vierzigjährigen Fotografin erzählt, die plötzlich ihren Mann verliert. Ihr Leben war auf dem Höhepunkt, ihr Sohn erwachsen, erfolgreich im Beruf und glücklich mit ihrem Mann Marten. Doch durch den plötzlichen Tod von Marten weiß sie nicht mehr, wo sie steht, geschweige denn, wo sie hinmöchte. In ihrer Verzweiflung nimmt sie sich eine Auszeit und reist nach Marstrand, in das Sommerhaus ihrer Familie, das schon mehrere Generationen in Besitz ist. Dort findet sie die Kiste, mit dem Brief und wird plötzlich neugierig, was dahintersteckt. Deshalb beginnt sie ihre Nachforschungen. Ich finde, dass Inga wirklich sehr glaubwürdig geschildert ist. Sie ist eine selbstbewusste Frau, die den Boden unter den Füßen verliert und damit völlig in der Luft hängt. Sie macht das einzig Richtige, nimmt sich eine Auszeit und entflieht der Situation, um Abstand zu bekommen und sich darüber klarzuwerden, wie es weitergehen soll. Eine wirklich sympathische Protagonistin, die ihren Weg geht, auch wenn ihr Steine hineingelegt werden.
Zum anderen ist die Story aus der Sicht von Rakel, der Großmutter von Inga erzählt (was man jedoch erst im Laufe der Geschichte erfährt). Von ihrer behüteten Kindheit auf einem Hof, ihrer Jugend als Dienstmädchen, wo sie schließlich ihre Freundin Lea und ihre große Liebe und ihren künftigen Ehemann kennenlernt und dann erfährt man von einem Geheimnis, das die Familie jahrelang gehütet hat und das das Leben von Rakel von Grund auf verändert hat. Rakel scheint zu Beginn etwas naiv und schüchtern zu sein. Doch ihre Freundin Lea hilft ihr, sich in der Welt zu beweisen und schnell merkt man, dass Rakel auch eine andere, selbstbewusste Seite hat und für ihre Träume kämpft. Die Entwicklung von Rakel gefiel mir wirklich sehr gut, auch wenn ich nicht jede ihrer Entscheidungen nachvollziehen konnte.
Doch dieses Buch besticht nicht nur durch seine tollen Protagonisten, sondern auch durch wunderbare Nebendarsteller. Schon allein Ingas Familie hat einige besondere Charaktere zu bieten. Zum einen ist da ihr Vater, der sie alleine großgezogen hat, der jedoch mittlerweile als Pflegefall in einem Heim wohnt und erst sein Schweigen bricht, als Inga ihn bitten, ihm zu helfen. Und dann gibt es da Jakob, der Rakel so sehr liebt, dass er alles dafür tut, um ihre große Liebe zu werden und eine Zukunft mit ihr aufzubauen. Wirklich jeder Charakter hat seine eigene Geschichte zu erzählen, die wunderbar in die Gesamtgeschichte eingebunden ist, dass es ein rundes Ganzes ergibt und den Leser wirklich bewegt.

Schreibstil:

Für mich war es wie gesagt etwas schwierig, dass das Buch einmal in der 3. Person und dann wieder in der Ich-Form geschrieben war. Das wäre wohl nicht so verwirrend gewesen, wenn von vorne herein klar gewesen wäre, wer diese Person ist, deren Geschichte 1959 erzählt wird. Auch die Augenzeugenberichte waren für mich eher störend, da ich sie erst zum Ende wirklich zuordnen konnte. 
Schön waren die Hinweise, die Inga immer wieder bekam. Sie verrieten genau so viel, dass die Spannung erhalten blieb, die Neugier aber so weit befriedigt war, dass man erst einmal zufrieden war und trotzdem wissen wollte, wie es weitergeht. Hier zeigte die Autorin, Maria Ernestam, richtig viel Fingerspitzengefühl.
Auch die verschiedenen Gefühle hat Maria Ernestam gut beschrieben und glaubhaft in die Geschichte eingeflochten. Inga, die am Tod ihres Mannes zu zerbrechen droht, die bedingungslose Liebe zwischen den beiden Freundinnen Rakel und Lea, die Verzweiflung von Jakob, der um eine Frau kämpft, die einen anderen liebt usw. Es gäbe noch zahlreiche Beispiele, in denen die Autorin den Leser dazu bringt mit den Protagonisten mitzufühlen, mitzuleiden und sich mit ihnen zu freuen.
Fazit:

Schade, dass dieses Buch so verwirrend beginnt, so dass ich einige Zeit gebraucht habe, in die Geschichte hineinzufinden und die verschiedenen Zeiten zusammenzufügen. Denn eigentlich ist es eine wirklich schöne Geschichte über die Liebe, über Freundschaft, Familie und das Leben während des Krieges. Jeder, der bewegende Geschichten mag, die erst zum Ende ihr Geheimnis lüften, sollte dieses Buch lesen.
Von mir bekommt das Buch 3,5 Punkte von 5.
Vielen Dank an den btb Verlag, der mir dieses Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt hat.

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